Am Ziel




Ungewohnt ausgeschlafen und noch ungewohnter mit privatem Frühstück im Bauch war die schwere Frage, was machen wir heute? Gleich ein Ritt zum Faro oder später, oder zum Strand? So sehr man zielstrebig sein kann, sofern und solange man ein Ziel hat, umso schwieriger ist es, sich zu entscheiden, wenn man bereits am Ziel ist! Das heißt – ganz nun ja nicht, denn der wirkliche, tatsächliche, absolute Nullpunkt des Camino wartet draußen am Leuchtturm. Der in Santiago sei quasi nur Fake, sagt man, der „echte“ Camino endet in Fisterra.

Ich wurde aufgeklärt, dass der ganze Weg ein uralter keltischer Pfad sei, an dessen Endpunkt Sonnen- und Mondrituale durchgeführt worden waren, bevor sich die Kirche die Pilger-Tradition auf die Fahnen schrieb und den guten Apostel Jakob für ihre Zwecke zum Zugpferd für Millionen von Pilgern machte. Ob er da in Santiago nun wirklich liegt, wer weiß das schon.

So war es also doch keine Frage, was wir zuerst machen – auf die Pferde und rauf zum Turm. Diesmal ohne Gepäck, nur mit der leichten Hose und mit ungesatteltem Handpferd. Oh, wenn es nur immer so leicht gewesen wäre! Plötzlich war alles so einfach… Die Sonne strahlte mit uns um die Wette.

Über schmale Pfade, die manchmal steil wurden, ritten wir zu den Aussichtspunkten und danach zu den Wackelsteinen. Wenn man einen davon bewegen kann, dürfte man sich was wünschen. Nun gut, wir hängten die drei Ponys an den windschiefen Bäumchen an, wo sie etwas Grünzeug naschen konnten, und kraxelten auf die steinernen Erhebungen, die kurz vor dem südlichsten Punkt der Halbinsel in die Lüfte ragen. Dabei erfuhr ich noch mehr über die Geschichte dieses Fleckchens End-Erde. Früher waren hier falsche Leuchtfeuer entzündet worden, damit sich die Festländer die Schiffwracks bzw. deren Ladung unter den Nagel reißen konnten. Dass dabei die Seeleute draufgingen, war kaltblütig einkalkulierter Kollateralschaden. Ich musste an all die vielen verlorenen Seelen denken. Dazu kamen im Mittelalter die unzähligen vor allem weiblichen Opfer der Inquisition, die hier ganz besonders gewütet haben musste. Ich blickte zu Irina – sie hat rote Haare… Just in dem Moment schenkte sie mir ein Armband mit der Jakobsmuschel in meinen Lieblingsfarben, sie hatte es selbst gemacht, seit sie wußte, ich würde bis zum Ende gehen und sie treffen. Es war ein ganz besonderer Moment, in dem mir klar war, warum ich diese Reise gemacht hatte. Jetzt war alles rund, ergab einen Sinn.

Noch eine Weile saßen wir auf den Steinen, von denen natürlich keiner wackelte, haha. Dann holten wir die Pferdchen für die ultimativ letzten paar hundert Meter bis zum Leuchtturm. Die Freundin von Irinas Stute, eine Langhaar-Ziege, turnte gämsengleich um uns herum, sie folgte ihr und uns auf Schritt und Tritt. Natürlich fielen wir sechs – wir und die Viecherei - auf, als wir uns dem Null Komma Null-Kilometerstein näherten, wo wir ausgiebig fotografierten.

Zum krönenden Abschluss traf ich … Holly, wie sie mit ihren nachgereisten Kindern ebenso Richtung Leuchtturm unterwegs war! Ein großes Hallo… Seit dem Abzweiger in San Juan de Ortega, wo ich den Franzosen ziehen ließ, hatten wir uns nicht mehr gesehen. Wir waren maximal entspannt und glücklich, alles gut geschafft zu haben. Dann erhielt ich auch noch einen Anruf von … Luna! Sie sei bis um drei in Fisterra und würde da den Bus zurück nehmen, wir könnten uns noch treffen. Das peilte ich an, und beim Zurückreiten auf dem „normalen“ Camino, wo uns doch noch ein paar Leute entgegenkamen, bog ich noch zur Haltestelle ab, wo wir bestaunt wurden, als wir quasi auf den Bus warteten. Nur, diesmal war uns der Zufall nicht hold, sie war doch nicht beim Bus. Ich probierte es noch mal telefonisch und erfuhr, sie würde einen späteren nehmen, na dann bis später.

Ich brachte die Ponys wieder zur Wiese zurück, steckte noch um und erfuhr, dass mein Hänger samt Freundin bereits im Zielanflug befindlich war! Das ging ja flott! Zumal am Vortag die Batterie gestreikt hatte, und zwar derart, dass eine neue gekauft werden mußte. Das war mir richtig peinlich, hatte ich doch sogar die Radiosicherung ausgesteckt, damit genau das nicht passiert. An dieser Stelle ein ganz riesiges Dankeschön meiner lieben Freundin und dem Gastgeber Frederic von Espalais, der das Auto wieder flott gemacht hat, so dass sie in zwei Etappen bis nach Fisterra fahren konnte.

Da die K.I. von Kaddi (wir erinnern uns an Gabis Pendant…) die Adresse nicht fand, musste ich sie schlußendlich aus der „Sackgasse“, die eigentlich keine war, erlösen, indem ich hinlief und den Weg anzeigte. Das Hallo und die Wiedersehensfreude waren groß, der Hänger gleich eingeparkt, und zum Füße vertreten liefen wir zum Strand, wo diesmal der Sonnenuntergang etwas blasser ausfiel. Natürlich gab es noch ein Abendessen im Fischlokal. Luna hatte ich dann doch nicht mehr erwischt. Vielleicht ist sie ja noch immer dort, am Ende der Welt…

 



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